Von Alfred Denzinger – Waiblingen. Ein echtes Sauwetter, aber dennoch allen Grund zum Feiern: Das dachten sich rund 25 AntifaschistInnen am 8. Mai in Waiblingen. Am Tag der Befreiung vom Faschismus hielten sie mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) eine Kundgebung auf dem Alten Postplatz in Waiblingen ab. Diese stand unter dem Motto „Damals wie Heute – Erinnern heißt Kämpfen“. Viele PassantInnen zeigten sich interessiert.
Die NazigegnerInnen verteilten Infomaterial und stellten eine Stellwand mit einer Wandzeitung auf, die näher auf die historischen Hintergründe des 8. Mai einging (siehe unten).
Mit dem Verteilen von roten Nelken und mit Informationen über das lokale Kriegsende banden sie PassantInnen ein und führten Gespräche mit ihnen. Aufgelockert mit Musikbeiträgen wurden mehrere Reden gehalten.
Verantwortung statt Schuld
Paula Bernhard von den Jusos Rems-Murr betonte, dass es beim Erinnern nicht darum gehe, Schuld auf sich zu nehmen. Denn „Schuld kann ein Mensch nur für seine eigenen Taten tragen“. Es gehe vielmehr darum, eine Lehre aus der Vergangenheit zu ziehen und „somit um Verantwortung statt Schuld“. Es dürfe aber nicht „ausschließlich beim Erinnern an die faschistischen Verbrechen bleiben. Wir müssen jeden einzelnen Tag für die Menschenrechte kämpfen“. Mit Blick auf die bevorstehende Europawahl schloss sie ihre Rede mit einer Aufforderung: „Geht wählen! Opfert die europäische Idee nicht den neuen Faschisten.“
Dank für den unermüdlichen Kampf
Reinhard Neudorfer sprach für den Kreisverband des DGB Rems-Murr. Er erklärte, der 8. Mai sei kein Tag der Niederlage, sondern ein Tag des Sieges. Es sei ein Tag der Befreiung gewesen. Bei den Initiatoren der Kundgebung bedankte er sich im Namen des DGB Rems-Murr für ihren „unermüdlichen Kampf“. Er wies auf Artikel 139 des Grundgesetzes hin und betonte, er beziehe sich ausdrücklich auf die Befreiung vom Faschismus. Dieser Artikel werde von der Bundesregierung gerne übersehen. Neudorfer führte weiter aus, dass Faschismus und Kapitalismus unmittelbar zusammenhängen würde.
Schwere Vorwürfe: Auch hiesige AfD gewaltbereit
Eine Vertreterin des Offenen Antifaschistischen Treffens (OAT) Rems-Murr führte aus, dass am 8. Mai 1945 die Terrorherrschaft der Faschisten durch ihre Kapitulation beendet wurde. Sie stellte die Frage, „inwiefern ist das heute noch für uns relevant?“ Viele Faschisten seien „als Richter, Staatsanwälte, Politiker oder Polizisten in Amt und Würden geblieben“. Diese mangelnde Aufarbeitung und die Ignoranz gegenüber faschistischer Strukturen habe dazu geführt, dass es bis heute „in der BRD Faschisten und andere Rechte gibt“.
Verschiedene rechte Gruppierungen, aber auch Spitzenpolitiker der AfD würden gemeinsam auf Jagd gegen MigrantInnen sowie gegen JournalistInnen und Linke gehen. Sie sprach auch über die Angriffe auf den Chefredakteur der Beobachter News und über die Morddrohung gegen ihn.
Auch die hiesige AfD sei gewaltbereit. Am Samstag, 27. April, hätten in Backnang drei AfD-Kandidaten unter anderem bewaffnet mit Eisenstangen AntifaschistInnen angegriffen. Diese Beispiele zeigten deutlich „die Notwendigkeit eines antifaschistischen Engagements und Widerstands gegen rechte Organisationsversuche“. Auch die Entwicklung einer antifaschistischen Gedenkkultur sei ein wichtiger Teil der Arbeit.
Am Ende der Kundgebung wurde ein Beitrag der Antifaschistischen Perspektive Ludwigsburg/Rems-Murr vom Band abgespielt (siehe Video unten).
Der Tag wurde nicht im Regen beendet, im Anschluss an die Kundgebung gab es nach Angaben des Veranstalters noch eine Kulturveranstaltung, bei der zu Tee und Essen der Film „Ich war neunzehn“ gezeigt wurde.
Videos
Weitere Bilder des Tages
Wir dokumentieren nachstehend den Inhalt der Stellwände zum 8. Mai in Waiblingen:
„Die letzten Tage des Krieges im Rems-Murr-Kreis
Obwohl mit dem Vorrücken der Roten Armee im Osten, sowie der anschließenden Landung der Alliierten im Westen klar war, dass der Krieg verloren war, wurde von der NSDAP-Führung die Verteidigung des „Heimatbodens“ bis auf den letzten Mann gefordert. Dazu wurden unter anderem sogenannte Volkssturmeinheiten aus Kindern und alten Menschen gebildet, die militärisch komplett unausgebildet an die Front geworfen wurden, nur damit die Parteibonzen ein paar Tage länger an der Macht blieben. Dies setzte die faschistische Führung auch mit Ermordung kapitulationswilliger Soldaten bis zum letzten Tage durch, ein prominentes Beispiel für solche Henker ist der spätere baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger.
Dennoch bildete sich Widerstand, so auch in verschiedenen Städten des Rems-Murr-Kreises.
Was geschah in Waiblingen?
Einen Monat vor der Kapitulation des Oberkommandos der faschistischen Wehrmacht, am 9. April kam es in Waiblingen zur einer Demonstration von Frauen. Diese demonstrierten zum Teil mit ihren Kindern gegen die geplante Verteidigung der Stadt „bis zum letzten Mann“. Um 14 Uhr kamen die mehreren hundert Frauen vor dem damaligen Rathaus (heute Ratsaal beim Marktplatz).
Die faschistische Führung Waiblingens, bestehend aus dem kommissarischen Bürgermeister, dem NSDAP-Ortsgruppenleiter und dem Polizeihauptmann, versuchten vom Balkon aus die Frauen zur Auflösung der Demonstration zu zwingen. Die versammelten Frauen ließen sich jedoch weder von einem vorgetäuschten Fliegeralarm, noch von in Stellung gebrachten Maschinengewehren einschüchtern. Sie unterbrachen die verlogenen Ansprachen der Faschisten immer wieder mit Gelächter und Zwischenrufen, unter anderem mit „Gebt unsere Stadt frei!“.
Unter dem Eindruck der starken Frauendemonstration war es dann auch am 21. April möglich, Waiblingen Kampflos an die Einheiten der US-Armee zu übergeben. Die den alliierten Truppen entgegenziehenden Parlamentäre waren der katholische Vikar Hans Böhringer und der Kommunist Alfred Rupp.
Zuvor bewegte sich das faschistische Regime auch hier zwischen Auflösungserscheinen und Führergehorsam: Alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren wurden für den Volkssturm zwangsrekrutiert, Parteibonzen versuchten ihre Verbrechen durch Aktenvernichtung und Flucht zu verstecken, Gefangene aus den Konzentrationslagern wie Welzheim wurden in Todesmärschen durch Dörfer und Kleinstädte getrieben.
Der Widerstand gegen die faschistische Diktatur lohnte sich: Das Zusammenwirken von Frauendemonstration und Parlamentären verhinderte die Sprengung der Beinsteiner Brücke, sowie auch Kämpfe in Waiblingen selbst und damit die Zerstörung der Stadt an sich.
Was geschah in Backnang?
Im März 1945 war Backnang umzingelt, die US-Amerikanischen Truppen standen vor Crailsheim. Bei Widerstand wäre Backnang von ihnen zerstört worden.
Die Menschen, die sich in den letzten Kriegstagen den Befehlen der NS-Führung widersetzten, hatten verschiedene Gründe dafür. Natürlich waren unter ihnen auch viele Faschisten oder deren Helfer, die den Durchhalteparolen nicht mehr glaubten und schlicht Angst vor den vorrückenden Alliierten hatten. Wie überall wurden zahlreiche Akten geschreddert, die Mitgliedschaft in der NSDAP oder sonstige Mitschuld vertuschen sollte. Die Kreisleitung flüchtete in der Nacht zum 20. April, am Geburtstag Hitlers, und überließ die Stadt sich selbst.
Doch es gab auch aktiven Widerstand. Dieser formierte sich aus Backnanger Volkssturmeinheit, vor allem initiiert durch den Textilunternehmer Richard Coppenrath und Oberschullehrer Karl Bruder, sowie den ehemaligen KPD-Gemeinderäten Eugen Wohlfahrt und Franz Hopfensitz. Diese Gruppe wollte den Plan der Kreisleitung verhindern, Backnang komplett zu evakuieren und beim Einmarsch der Amerikaner durch die Wehrmacht zu beschießen.
Die Stadt wurde maßgeblich durch zwei Widerstandsaktionen gerettet. Zum einen wurde die Sprengung der Eisenbahnbrücke an der Stuttgarter Straße durch die Wehrmacht von Volkssturmmitgliedern verhindert. Auch die Sprengung der Sulzbacher Brücke konnte soweit sabotiert werden, dass diese noch befahrbar blieb. Zum anderen gelang es den Parlamentären Fritz Munz und Hermann Krimmer, den anrückenden US-Amerikanischen Truppen entgegenzugefahren und ihnen Backnang als widerstandsfrei zu melden, sodass diese am 20. April 1945 kampflos einmarschierten. Doch nur Krimmer überlebte, Munz wurde während des Vorhabens von einer deutschen Mine getötet. Die Stadt wurde maßgeblich durch zwei Widerstandsaktionen gerettet. Zum einen wurde die Sprengung der Eisenbahnbrücke an der Stuttgarter Straße durch die Wehrmacht von Volkssturmmitgliedern verhindert. Auch die Sprengung der Sulzbacher Brücke konnte soweit sabotiert werden, dass diese noch befahrbar blieb. Zum anderen gelang es den Parlamentären Fritz Munz und Hermann Krimmer, den anrückenden US-Amerikanischen Truppen entgegenzugefahren und ihnen Backnang als widerstandsfrei zu melden, sodass diese am 20. April 1945 kampflos einmarschierten. Doch nur Krimmer überlebte, Munz wurde während des Vorhabens von einer deutschen Mine getötet.
Und was lernen wir daraus?
Wir beschäftigen uns als AntifaschistInnen nicht aus rein theoretischem Interesse mit dem Kriegsende im Rems-Murr-Kreis bzw. dem Kreis Waiblingen und Backnang, sondern weil wir aus der Beschäftigung mit den antifaschistischen Kämpfen der Vergangenheit Lehren ziehen wollen. An den oben aufgeführten Beispielen hier sind das vor allem zwei:
1. Antifaschismus lohnt sich! Wären die Waiblinger Frauen oder die Backnanger Widerstandsgruppe nicht aktiv geworden, dann wären die beiden Städte mit größter Wahrscheinlichkeit zerstört worden. Dass diese Menschen mit ihrem Widerstand ihr eigenes Leben riskierten, wird den meisten von ihnen klar gewesen sein: Was in den KZs und bei den Todesmärschen vor sich ging, war jedem bewusst. Aber auch an der Front mordeten Faschisten bis zuletzt: Im nahen Steinheim an der Murr wurde ein Wehrmachtssoldat am Abend vor der Kapitulation der deutschen Einheit ermordet, da er sich ergeben und überlaufen wollte. Mit der kampflosen Übergabe Waiblingens und Backnangs wurden damit hunderte von Menschenleben, Zivilisten wie Militärs, gerettet.
2. Antifaschismus ist ein Kampf aller demokratischen Kräfte! Die Zusammensetzung der widerständigen Akteure war sehr unterschiedlich – alleine die Backnanger Widerstandsgruppe hätte mit einem Unternehmer und zwei Kommunisten nicht diverser sein können. Alle sie einte der Wille zur Überwindung des menschenverachtenden, faschistischen Systems für demokratische Rechte, für eine Gesellschaft ohne Vernichtungskrieg und rassistischem Terror.
Was bedeutet das für heute?
Auch wir sollten nicht abwarten, bis sich der Rechtsruck von alleine erledigt, sondern selber aktiv werden. Auch sollten wir erkennen, dass der Kampf gegen rechts ein gesamtgesellschaftlicher ist. Denn die Folgen des Rechtsrucks gehen uns alle an: Ob als Lohnabhängige, Frauen, MigrantInnen, Menschen mit Behinderung oder schlicht all jene, die nicht in das Weltbild der Faschisten passen. Darum ist es wichtig, sich über Weltanschauungsgrenzen hinweg zu organisieren. Oder kurz gesagt:
Für´s aktiv werden gegen Faschismus gibt es kein zu früh!
Organisiert euch gegen Rassismus und rechte Hetze!
Alle zusammen gegen den Faschismus!“
Folge uns!