Karlsruhe. Am Vormittag des 9. März fand im Amtsgericht Karlsruhe der Prozess gegen einen Antifaschisten statt. Der Angeklagte soll Mitte April 2015 (wir berichteten) beim Protest gegen „Kargida“ versucht haben, einen Polizeibeamten zu verletzen. Der Richter zeigte von vorneherein seinen Willen, den Prozess möglichst schnell durchzuziehen. Er fällte ein hartes Urteil: zehn Monate Freiheitsstrafe ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, dazu eine Spende von 1000 Euro an die Polizeistiftung Baden-Württemberg. Die Strafe ist höher, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Die Verteidigung will Rechtsmittel einlegen.
Der angeklagte Antifaschist hatte im Jahr 2016 völlig unerwartet einen Strafbefehl über 2400 Euro erhalten, gegen den er Einspruch einlegte. Ihm wurde versuchte gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt. Laut Anklageschrift habe er während der Räumung einer Blockade durch ein Transparent hindurch einen Polizeibeamten mehrmals mit einer Fahnenstange gegen die Brust gestoßen. Eben jener Räumungseinsatz hatte damals in Karlsruhe für Entsetzen gesorgt. Jedoch wurde der Betroffene damals weder in Gewahrsam genommen, noch wurden seine Personalien notiert. Die Anklage beruht einzig auf Aussagen von Polizeibeamten und Videoauswertung.
Zum Prozess waren neben dem Angeklagten und seiner Verteidigerin Brigitte Kiechle auch einige Unterstützer aus Stuttgart und Karlsruhe erschienen. Im Saal nahmen außerdem zwei Justizbeamte als Sicherheitskräfte Platz, die der Richter nach 15 Minuten mit den Worten „falls wir sie brauchen, wissen wir ja wo wir sie finden“ entließ.
Videos untermauern Vorwürfe nicht
Aus der Anklageschrift ging hervor, dass die Anklage durch den Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und des Widerstand im besonders schweren Fall erweitert wurde. Das mache bereits ein Urteil unter sechs Monaten unmöglich, sagte der Richter. Generell wirkte er sehr gehetzt, als wolle er die Sache möglichst rasch zum Ende bringen. So fiel er den Beteiligten öfter ins Wort und unterbrach sie. Außerdem untersagte er den Anwesenden das Trinken, sonst gehe es im Saal zu „wie im Kino“.
Nach der Sichtung einiger Videos, die den Vorwurf jedoch in keiner Weise untermauerten, folgte die Befragung zweier eingesetzter Polizisten. Der erste der beiden, der vermeintlich Angegriffene, gab akkurat den in der Anklageschrift beschriebenen Ablauf wieder, konnte sich dann aber an nichts Weiteres mehr erinnern. Lediglich beim Angeklagten war er sich völlig sicher. „Frisur, Gesicht, merkt man sich“.
Polizist hatte den Angeklagten auf den Kopf geschlagen
Der zweite Zeuge schilderte beinahe dasselbe, ließ jedoch auf Rückfragen tief in das Denken der Polizeibeamten blicken. So schilderte er völlig offen, dass er den Angeklagten gegen den Kopf geschlagen habe, als dieser seinen Aufforderungen nicht folgte. Außerdem sprach er immer von „den Linken“ und – angesprochen auf die angeblich eingesetzte Fahnenstange – von „klassischen Holzteilen, die die Linken immer auf Demos dabei haben“.
Beide Zeugen wurden intensiv von der Verteidigerin des Angeklagten befragt, die neben Fragen zum konkreten Vorfall auch solche zum gesamten Einsatz stellte. Sie beantragte, drei weitere Zeugen zu laden. Das lehnte der Richter ab. Die Zeugen seien unwichtig für den Fall.
Verteidigung fordert Freispruch
In ihrem Plädoyer schilderte die Staatsanwältin noch einmal den Vorwurf und ihre Forderung: Sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Verteidigung begann ihr Plädoyer mit einer Einordnung des Prozesses in die aktuelle politische Lage in Deutschland und Karlsruhe. Ihre Forderung nach Freispruch machte Rechtsanwältin Brigitte Kiechle zum einem am rechtswidrigen Polizeieinsatz fest, zum anderen an der logischen Unmöglichkeit des Vorgangs.
So sei auf allen Videos zu erkennen, dass die „Tatwaffe“ beziehungsweise Fahne quer und eingewickelt in ein Transparent getragen wird. Eine Stoßbewegung sei so schlicht unmöglich gewesen. Noch dazu könne es keinen Angriff gegeben haben. Sonst hätten die Polizeibeamten den Angeklagten ja noch vor Ort in Gewahrsam genommen und nicht monatelang mit der Eröffnung eines Verfahrens gewartet.
Richter stützt sich allein auf Aussagen der Polizisten
Nach kurzer Unterbrechung verkündete das Gericht das Urteil: zehn Monate Freiheitsstrafe ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, dazu die Zahlung einer Spende von 1000 Euro an die Polizeistiftung Baden-Württemberg. Damit wurde selbst die Forderung der Staatsanwaltschaft übertroffen. Der Richter begründete sein Urteil damit, dass er den beschriebenen Ablauf glaube und fest davon ausgehe, dass der Angeklagte mit Absicht einen Polizisten verletzen wollte. Außerdem betonte er, dass ihn vor allem die Aussagen der Polizisten von der Schuld überzeugt hätten. Lediglich die gute Sozialprognose des Angeklagten sei der Grund für die Aussetzung der Strafe auf Bewährung.
Direkt nach der Verhandlung kündigte die Verteidigung an, Rechtsmittel einzulegen.
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