Karlsruhe/Frankfurt. Die Polizei darf bei Versammlungen wie den Blockupy-Protesten im Juni 2013 in Franfurt auch ganze Gruppen von Teilnehmern einkesseln, um ihre Personalien festzustellen. Einem am Mittwoch, 14. Dezember veröffentlichten Beschluss zufolge hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Gerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen die polizeiliche Identitätsfeststellung und die damit verbundene Freiheitsentziehung durch Einkesselung bei einer Demonstration in Frankfurt nicht zur Entscheidung angenommen.
Zwar erfordere der Verdacht einer Straftat eine „hinreichend objektive Tatsachengrundlage“ und müsse auf einen konkreten Versammlungsteilnehmer bezogen sein, heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Das schließe aber polizeiliche Maßnahmen zur Identitätsfeststellung gegen eine ganze Gruppe von Versammlungsteilnehmern nicht aus, „wenn sich aus deren Gesamtauftreten ein Verdacht auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Gruppe ergibt und das Vorgehen die übrigen Versammlungsteilnehmer so weit wie möglich ausspart“.
Konkret ging es um eine Demonstration „Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika“ in Frankfurt im Juni 2013. Einzelne Versammlungsteilnehmer hatten sich laut Gericht bereits vor Beginn vermummt. Nach Beginn der Demo stellte sich ein Teil der Versammlung in einer U-Formation auf, die mit Hilfe von mitgebrachten Seilen und Holzstangen, Schutzschilden, zusammengeknoteten Transparenten und Regenschirmen nach außen abschirmt wurde.
Später seien aus diesem Teil der Versammlung Pyrotechnik und mit Farbe gefüllte Flaschen und Beutel auf Polizisten geworfen worden. Um 12.49 Uhr stoppte die Polizei diesen Teil der Versammlung und trennte ihn von dem übrigen Demozug ab. 943 DemonstrantInnen, unter ihnen der Beschwerdeführer, wurden durch einen Polizeikessel eingeschlossen. Im Einvernehmen mit der Versammlungsbehörde habe die Polizei die Personen von der Versammlung ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer konnte den Kessel an einer von 15 Durchlassstellen mit Videoüberwachung nach Feststellung seiner Identität, Durchsuchung seiner Sachen und erkennungsdienstlicher Behandlung (Videografierung) gegen 17.30 Uhr verlassen. Das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt. Sein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung, der Identitätsfeststellung und der Durchsuchung blieb ohne Erfolg.
„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten“, heißt es in dem Beschluss des Gerichts. Die Überlegungen der Richter: Die Verfassung gewährleiste das Recht, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Sei nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt, müsse für die friedlichen Teilnehmer der Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne Demonstranten Ausschreitungen begehen.
Zwar schließe die Versammlungsfreiheit nicht aus, gegen Teile der Versammlung repressive Maßnahmen der Strafverfolgung zu ergreifen. Bei solchen Grundrechtseingriffen hätten die staatlichen Organe aber die grundrechtsbeschränkenden Normen der Strafprozessordnung im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
Für Maßnahmen zur Identitätsfeststellung bei Verdacht einer Straftat (§ 163b Abs. 1 StPO) bedeute dies, „dass der Verdacht auf einer hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie im Hinblick auf einen konkreten Versammlungsteilnehmer bestehen muss“. Nicht genügend für den Verdacht sei die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus durch einzelne oder eine Minderheit Gewalttaten begangen werden. Maßnahmen gegen eine ganze Gruppe von Versammlungsteilnehmern seien aber dann nicht ausgeschlossen, „wenn sich aus deren Gesamtauftreten ein Verdacht auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Gruppe ergibt und das Vorgehen die übrigen Versammlungsteilnehmer so weit wie möglich ausspart“.
Frühere Entscheidungen von Fachgerichten seien diesen Maßgaben gerecht geworden. Es verstoße nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben, wenn die Polizei einen Anfangsverdacht gegen alle Mitglieder einer Gruppe als begründet ansieht, die sich aufgrund dichtgedrängter Staffelung, Sichtschutz und Vermummung vom übrigen Versammlungsgeschehen abhebt und aus der heraus eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen werden.
Die zu diesem Teil des Aufzugs gehörenden Personen zeigten „ein planvoll-systematisches Zusammenwirken mit einer Vielzahl von Gewalttätern und erwecken den Eindruck der Geschlossenheit“, so dass die Einsatzkräfte als Grundlage einer Identitätsfeststellung davon ausgehen durften, dass Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten bestärkt würden. Der Beschwerdeführer sei auch nicht unangemessen lang festgehalten worden. Die Zahl der Durchgangsstellen habe ausgereicht, und es sei auch keine Vorführung vor einem Richter nötig gewesen.
Der Verfassungsgerichtsbeschluss vom 2. November 2016 trägt das Aktenzeichen
1 BvR 289/15.
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