Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart. Neun Jahre. So lang wirkt mindestens das Ergebnis der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg nach. Damals erreichte die AfD aus dem Stand 15,1 Prozent. Das verschafft der Partei, die im Parlament bisher vor allem durch interne Querelen und abstruse Anträge auffiel, das Vorschlagsrecht für den nächsten frei werdenden Sitz im Verfassungsgerichtshof des Landes. Er wird in nächster Zeit voraussichtlich darüber zu befinden haben, ob der Landtag dem AfD-Antrag folgen muss, einen Untersuchungsausschuss zum „Linksextremismus“ einzurichten. Die AfD-Fraktion wird vermutlich Klage einreichen. Es kann einem mulmig werden, in welchem Tempo die rechtspopulistische und marktradikale Partei Staat und Gesellschaft durchdringt.
Nach einem Bericht der „Südwest Presse“ hat die AfD-Landtagsfraktion die 47-jährige Betriebswirtin Rosa-Maria Reiter aus dem südbadischen Lahr für den Richterposten nominiert. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen werden demnach wohl mehrheitlich zustimmen. Auch der nächste Stellvertreterposten werde der AfD zustehen.
Dem Staatsgerichtshof gehören neun Richter an: drei Berufsrichter, drei mit „Befähigung zum Richteramt“ und drei, die keine entsprechende juristische Vorbildung brauchen. Die Richter werden auf neun Jahre gewählt. Dem Landtags-Wahlergebnis vom März 2016 entsprechend stehen Grünen und CDU jeweils drei Richterposten im Staatsgerichtshof zu und den kleineren Fraktionen SPD, FDP und AfD jeweils einer.
Aktuell geht es um die Nachfolge Leni Breymaiers. Die frühere baden-württembergische Verdi-Chefin und jetzige SPD-Landesvorsitzende war bis Juli 2018 als Verfassungsrichterin gewählt. Sie scheidet aber vorzeitig aus dem Gremium aus, weil sie für den Bundestag kandidiert. Breymaier wurde eben erst in Aalen als Wahlkreiskandidatin aufgestellt und wird voraussichtlich die baden-württembergische Landesliste der SPD anführen. Ins Ehrenamt beim obersten Gericht des Landes wird ihr nun ausgerechnet die von der AfD vorgeschlagene Rosa-Maria Reiter folgen. Sie ist Mitarbeiterin im Büro der AfD-Landtagsabgeordneten Carola Wolle.
Der Staatsgerichtshof entscheidet über die Auslegung der Landesverfassung – etwa über Fragen der Hochschulgesetzgebung oder den ENBW-Deal. Der „Südwest Presse“ zufolge könte Rosa-Maria Reiter als Verfassungsrichterin selbst über eine AfD-Klage wegen des abgelehnten Untersuchungsausschusses zum „Linksextremismus“ mitentscheiden. Nach Auskunft von Landtagsdirektor Berthold Frieß liege formalrechtlich keine Befangenheit vor.
In dem Fall geht es um einen Antrag im Landtag aus der Zeit, als sich die AfD in zwei Fraktionen gespalten hatte – angeblich im Streit über den Abgeordneten Wolfgang Gedeon, der wegen antisemitischer Schriften in der Kritik steht. Er ist inzwischen fraktionslos. Nach der Geschäftsordnung des Landtags wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, wenn ihn mindestens ein Viertel der Abgeordneten oder zwei Fraktionen beantragen.
Die AfD nutzte ihre Spaltung, um den Antrag auf einen Untersuchungsausschuss „Linksextremismus“ doppelt zu stellen. Die Landtags-Mehrheit lehnte ihn ab. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die beiden Fraktionen unterschiedlichen Parteien angehören müssten. Die AfD pocht auf ihr Minderheitenrecht. Vermutlich wird die wiedervereinigte AfD-Fraktion, der 22 Abgeordnete angehören, Klage gegen die Ablehnung erheben – über die der Staatsgerichtshof dann mit einer Richterin in seinen Reihen entscheidet, die von der AfD-Fraktion vorgeschlagen wird und für eine AfD-Abgeordnete arbeitet. Soviel zur Unabhängigkeit der Justiz.
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