Von Alfred Denzinger und Meide Wolt – Stuttgart. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. So lautet eine alte Juristenweisheit. Ob Gott beim Urteil von Amtsrichterin Broß die Finger im Spiel hatte, darf bezweifelt werden. Broß verurteilte am Dienstag, 26. Juli, den Friedensaktivisten Thomas H. wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Hinzu kommen Anwalts- und Gerichtskosten. Thomas H. soll sich an Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 beteiligt haben. Nach Auffassung der Richterin handelte es sich hierbei zwar um eine Versammlung im rechtlichen Sinn. Aber die Veranstalterin, eine Stuttgarter Marketingfirma, müsse sich nicht an die Grundrechte halten.
Der Angeklagte kündigte umgehend Berufung an. Vor Beginn der Gerichtsverhandlung bekundeten rund 20 Menschen vor dem Amtsgericht ihre Solidarität mit dem Angeklagten und forderten seinen Freispruch. Gleich zum Verhandlungsauftakt beantragte Rechtsanwalt Richard Pitterle die Einstellung des Verfahrens. Es handle sich im vorliegenden Fall keineswegs um eine Straftat, sondern um eine Versammlung.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, er sei mit sechs weiteren Personen im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle am Stand der Bundeswehr gestanden. Die Personen hätten ein Banner mit der Aufschrift „Töten und getötet werden stellt keine Alternative dar“ getragen. Der Aufforderung, den Saal zu verlassen, seien sie nicht gefolgt. Erst als der Sicherheitsdienst herbeieilte, hätten sich die Aktivisten entfernt. Somit sei der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt. Thomas H. erhielt einen Strafbefehl über 15 Tagessätze à 40 Euro, gegen den er Einspruch einlegte. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
Der Beschuldigte machte keine Angaben zur Sache, gab aber eine Erklärung ab, die hier nachgelesen werden kann.
Geschockte Zeugin wegen roter Farbe bei der Bundeswehr
Die damalige Projektmanagerin erklärte im Zeugenstand, sie sei „erstaunt und geschockt“ gewesen, als sie zwei Menschen vor dem Bundeswehrstand liegen sah. Die beiden Personen seien mit roter Farbe beschmiert gewesen. Sie habe sie aufgefordert, mit ihrer Aktion aufzuhören. Sie sei in der Folge zur Seite geschoben worden, habe aber einen Aktivisten festgehalten. Zu einem Aktivisten mit Megaphon habe sie gesagt, dass sie der Veranstalter sei und dass sie die Veranstaltung nicht stören sollten.
Drei bis vier Mal habe sie zu dem Aktivisten gesagt, dass die Protestierenden die Halle verlassen sollten. Die Person mit dem Megaphon habe aber immer weiter geredet. Nach der Drohung, die Polizei zu holen, sei die Gruppe schließlich abgezogen. Der ganze Vorfall habe gefühlsmäßig etwa fünf Minuten gedauert. Die Projektmanagerin stellte danach Strafantrag gegen unbekannt. Die Zeugin schickte später der Polizei per E-Mail Handyfotos von der Aktion, die sie vor Ort angefertigt hatte. Sie will den Angeklagten auf der Anklagebank wiedererkannt haben: „Er war dabei.“ Ob er die Person mit dem Megaphon war, vermochte sie nicht zu sagen.
Die AktivistInnen sollen nach der Aktion in der Liederhalle bei einer Demonstration am Rotebühlplatz von der Polizei kontrolliert worden sein. Da habe man ihre Personalien aufgenommen.
Wer hörte die Aufforderung zum Gehen?
Auf die Frage von Rechtsanwalt Pitterle, ob sie von der Firma bevollmächtigt gewesen sei, in ihrem Namen Strafantrag zu stellen, erwiderte die Projektmanagerin, sie sei von ihrem anwesenden Chef mündlich aufgefordert worden, „die Anzeige zu machen“. Der Strafverteidiger wollte von der Zeugin wissen, ob alle Beteiligten ihre Aufforderung gehört hätten.
„Die Dame hat es auf jeden Fall gehört“, so die Zeugin. Auch eine Person am Transparent habe es bestimmt gehört. „Der, der am anderen Ende war, der hat es sehr wahrscheinlich nicht gehört“, erklärte die Projektmanagerin. Das Megaphon habe bestimmt ihre Stimme übertönt. Wo Thomas H. gestanden haben soll, konnte nicht geklärt werden.
Die entscheidende Frage: War es eine Versammlung?
Auf Nachfrage des Verteidigers sagte die Zeugin, es habe sich um eine Versammlung gehandelt. Aber die VersammlungsteilnehmerInnen seien Störer gewesen. Pitterle und die Zeugin waren sich letztlich einig, dass es sich um eine Protestaktion gehandelt habe.
Die Liederhalle war für diese Veranstaltung für Jedermann zugänglich. Es wurde kein Eintrittsgeld erhoben. Somit handelte es sich offensichtlich um eine öffentliche Veranstaltung. Dennoch sah es die Staatsanwältin als erwiesen an, dass es sich um Hausfriedensbruch gehandelt habe. Sie beantragte, den Angeklagten zu einer Geldstrafe in Höhe von 600 Euro zu verurteilen.
Nur die Polizei hätte die Versammlung auflösen können
Verteidiger Pitterle beantragte für seinen Mandanten Freispruch. Da es eine Versammlung war, hätte man sich gar nicht auf das Hausrecht berufen können. Dies habe letztlich auch die Zeugin bestätigt. Die veranstaltende Firma hätte sofort die Polizei rufen und die Beamten dann die Versammlung auflösen müssen. Erst danach hätte es eine Aufforderung zum Verlassen des Saals geben können. Das sei aber so nicht geschehen. Die Versammlung sei nicht aufgelöst worden.
Im Übrigen habe selbst die Polizei das Ereignis als Versammlung eingestuft, denn die Beamten hätten nach dem Versammlungsleiter gefragt. Pitterle verwies auf entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, wonach die Versammlungsfreiheit zwar keinen Zugang zu beliebigen Orten verschaffe, aber überall dort hin, wo ein öffentlicher Verkehr möglich sei.
Firmenrecht schlägt Grundrecht?!
Darüber hinaus habe die Projektmanagerin nicht automatisch das Hausrecht. Es sei auch zweifelhaft, ob sie berechtigt gewesen sei, anstelle des gesetzlichen Vertreters einen Strafantrag zu stellen. Letztlich sei sie nicht der gesetzliche Vertreter der veranstaltenden Aktiengesellschaft gewesen. Aus diesem Grunde sei der Strafantrag nicht weiter zu verfolgen, da sie nicht berechtigt zur Anzeige war.
Amtsrichterin Broß verurteilte den Friedensaktivisten Thomas H. schließlich wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Hinzu kommen Anwalts- und Gerichtskosten. Nach Auffassung der Richterin habe es sich bei der Aktion zwar um eine Versammlung im rechtlichen Sinne gehandelt, aber die veranstaltende Stuttgarter Aktiengesellschaft müsse sich nicht an die Grundrechte halten.
Thomas H. und sein Verteidiger erklärten gegenüber den Beobachter News noch im Gerichtssaal, dass sie in Berufung gehen werden.
Kundgebung vor dem Amtsgericht
Vor Beginn der Gerichtsverhandlung versammelten sich vor dem Amtsgericht morgens um acht rund 20 Personen. Eine Sprecherin des Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung (OTKM) Stuttgart ging in ihrer Rede auf die Ursachen für das verstärkte Werbeaufkommen der Bundeswehr ein: „Die Abschaffung der Wehrpflicht im Jahre 2011 verfolgte den Zweck, eine schlagkräftige und einsatzfähige Interventionsarmee zur Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen zu schaffen. Doch dafür fehlen der Bundeswehr die Rekruten.“ Durch bezahlte Studienplätze, hohe Gehälter und sichere Übernahme versuche die Bundeswehr, jungen Menschen den Beruf SoldatIn attraktiv zu machen.
Für die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK) sprach Michael Schulze von Glaßer. Er machte auf die zahlreichen Repressionen durch Staat und Militärs gegen FriedensaktivistInnen seit der Gründung der DFG-VK vor 125 Jahren aufmerksam. Beispielhaft dafür waren in Stuttgart etwa die Schließung der DFG-Buchhandlung in der Werfmershalde 18 durch Preußen im April 1916 oder Berufsverbote durch die Verwaltungsvorschrift von 1883 in Baden-Württemberg.
Dagmar Uhlig, Sprecherin der Stuttgarter Linken, ging auf die Situation Jugendlicher bei der Bundeswehr ein. Sie dürften im Alter von 17 Jahren zwar noch kein Auto auf der Straße, aber bereits Panzer bei der Bundeswehr fahren. Auch das Jugendarbeitsschutzgesetz gelte für sie bei der Bundeswehr nicht mehr.
Die UnterstützerInnen der Kundgebung:
Friedensnetz Baden-Württemberg, DFG-VK Baden-Württemberg, DFG-VK Stuttgart, Friedensplenum-Antikriegsbündnis Tübingen, Informationsstelle Militarisierung (IMI), DKP Stuttgart, Friedenstreff Nord, Friedenstreff Bad-Cannstatt, OTKM (Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung), DIE LINKE Baden-Württemberg, DIE LINKE Stuttgart.
Spendenkonto zur Prozessunterstützung:
Stichwort „Prozess Thomas“, DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40
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