Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Nach der Aufhebung der Immunität der HDP Abgeordneten durch das türkische Parlament versammelten sich am Freitag, 27. Mai, aus Protest kurdische, türkische und alawitische DemonstrantInnen in der Kronprinzstraße in Stuttgart. Sie solidarisierten sich mit den HDP-Abgeordneten und forderten ein Ende der Angriffe auf die Stadt Nisebin im Süd-Osten der Türkei.
Zu den europaweiten Protesten hatte das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM) und der Demokratischer Kongress der Völker Europa (HDK-A), ein Ableger der HDP (Demokratische Partei der Völker), aufgerufen. Etwa 150 Menschen folgten dem Aufruf und versammelten sich auf dem Platz an der Kronprinzstraße. Die Bereitschaftspolizei hatte alle Zufahrtsstraßen zu dem Platz mit Fahrzeugen und Beamten besetzt.
Eine SprecherIn des NAV-DEM wies darauf hin, dass mit der Aufhebung der Immunität der parlamentarischen Abgeordneten sich das Regime um den Staatspräsidenten Erdogan einen weiteren Schritt in Richtung eines Präsidialsystems bewege. „Tatsache ist auch, dass Erdogan und sein Regime nur so sicher auf diesem Weg voranschreiten können, weil sie wissen, dass sie von Seiten der EU und der deutschen Bundesregierung nichts zu fürchten haben.“
Das Land darf nicht in die Diktatur abdriften
Jedoch richtet sich die Forderung des NAV-DEM am Ende der Rede ausgerechnet an die benannten Akteure selbst: „Die EU und die Bundesregierung müssen Maßnahmen einleiten, um ein weiteres Abdriften der Türkei in Richtung Diktatur zu verhindern.“ Dabei blieb offen, warum EU und Bundesregierung solche Maßnahmen ergreifen sollten, nachdem sie bisher die Entwicklungen in der Türkei völlig kritiklos akzeptiert hatten.
Eine SprecherIn des Frauenbüros für Frieden erklärte mit Blick auf die jüngsten Angriffe auf die Stadt Nisebin im Süd-Osten der Türkei: „Wir stehen in unserer Verantwortung, unserer Organisierung, unseren Kampf und die internationale Frauensolidarität stärker zu entwickeln. Nur unter dieser Voraussetzung wird es gelingen, die Gewaltkultur im Allgemeinen und speziell gegen Frauen zu überwinden“. Nisebin wird seit Wochen durch Einheiten des türkischen Militärs und türkischer Sicherheitskräfte mit schweren Waffen und Flugzeugen angegriffen.
Gegen ein Präsidialsystem in der Türkei
Um eine komplette Zerstörung der Stadtteile und ein Massaker an Teilen der Bevölkerung, wie einige Monate zuvor in Cizire zu verhindern, hatten die Selbstverteidigungskräfte (YPS) der Stadt bekannt gegeben sich bis zum 25. Mai aus der Stadt zurückzuziehen, um den militärischen Kräften des Regimes keinerlei Rechtfertigung für die Angriffe zu bieten. Die SprecherIn des Frauenbüros forderte unter anderem: „Die offizielle Anerkennung der demokratischen Autonomie in Kurdistan“.
An einem offenen Mikrofon verlas eine Demonstrationsteilnehmerin eine Erklärung des Europavertreters der HDP Eyyüp Doru. Darin heißt es: „Die ohnehin schon geschwächte parlamentarische Demokratie der Türkei“ werde durch ein Präsidialsystem ersetzt, „indem legislative, exekutive und judikative Gewalten vom Präsidenten mit der Schaffung eines Machtmonopols an sich gerissen werden“. Zum politischen Klima in der Türkei heißt es weiter: „Jeder, der Präsident Erdogan kritisch gegenüber steht, wird als ‚Verräter‘, ‚Terrorist‘ oder ‚Unterstützer von Terrorismus‘ gebrandmarkt“.
Solidaritätskomitee warnt vor Spaltung
In der Erklärung ruft Doru „alle Personen und Institutionen, die sich universelle demokratische Werte zu eigen gemacht haben“, dazu auf, „die politischen und rechtlichen Abläufe in der Türkei genau zu beobachten und sich solidarisch mit unserem Kampf gegen diese totalitären Angriffe auf die HDP und die politische Zukunft des Landes zu zeigen“.
Ein Sprecher des Solidaritätskomitees für den Wiederaufbau von Kobane sprach sich „gegen die Spaltung kurdischer und türkischer Arbeiter aus“ und verwies darauf, dass die durch den Islamischen Staat (IS) hervorgerufenen Flüchtlingszahlen ihre Ursache in der Unterstützung des IS durch das Erdogan-Regime habe, wofür auch die deutsche Bundesregierung aufgrund des Abkommens mit der türkischen Regierung eine Verantwortung trage.
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