Von Pejo Berber und Matthias Jakoby – Berlin. Angemeldet waren 500 Menschen, erwartet wurden über 3000, dann stieg die Teilnehmerzahl auf mehr als 10 000 und nach der letzten Schätzung der Veranstalter sogar auf bis zu 12 000: Berlin Nazifrei hatte aufgerufen, am Samstag, 7. Mai, gegen den Aufmarsch von Neonazis zu protestieren und „Für ein solidarisches Berlin“ zu demonstrieren. Ein breites lokales Bündnis von demokratischen Gruppen und Parteien, Gewerkschaften, Linken und Autonomen machte deutlich, dass Nazis und rassistisches Gedankengut aus Sicht der Mehrheit der Berliner keinen Platz in ihrer Stadt haben.
Der Demozug bewegte sich bunt und mit vielfältigem Protest gegen rechte Hetze und rassistische, sexistische Ausgrenzung jeder Art durch die Stadt. Redebeiträge, Sprechchöre und Musik zum Tanzen sorgten schon beim Auftakt am Hackeschen Markt für eine gute Stimmung . Parolen wie „Nationalistisches Denken raus aus den Köpfen“ oder „Gleiches Menschenrecht für Menschen aller Nationen, Geschlechter, Glaubensrichtungen “ wurden skandiert.
Die Demonstration zog über die Oranienburger- und Friedrichstraße, den Boulevard unter den Linden, am Holocaust-Denkmal und am Reichstag vorbei bis kurz vor das Bundeskanzleramt und das Paul-Löbe-Haus. Auch viele Einkaufenden und Touristen schlossen sich spontan an und liefen ein Stück weit mit. Es war nur eine von mehreren lokalen Gegendemonstrationen in Berlin gegen den Aufmarsch der Rechten.
Nahezu gesamte Bandbreite der rechten Szene versammelt
Zahlreiche Rechtsaußen-Organisationen wie die „identitäre Bewegung“, die Partei „der dritte Weg“, rechte Hooligans und sogenannte „Reichsbürger“ hatten bundesweit mobilisiert. Trotzdem brachten sie mit maximal 1800 Mitläufern weit weniger Anhänger auf die Straße als beim vorausgegangenen Versuch.
Der Presseagentur AFP zufolge war „fast die gesamte Bandbreite der rechtsextremen Szene“ bei dem Marsch vertreten, der am Hauptbahnhof begann. Viele der Versammelten trugen unverblümt Nazisymbole – auch verbotene, doch sie blieben unbehelligt von der Polizei. Einige bekannten sich mit Parolen wie „Adolf war der Beste“ offen zum Hitlerfaschismus. Viele der Anwesenden waren Männer mittleren Alters – muskelbepackt und bullig. Laut Tagesspiegel liefen mittendrin AfD-Fans mit blauen T-Shirts mit der Aufschrift: „AfD – so sehen Sieger aus.“
Neonazis hinter Polizeiketten im fast menschenleeren Raum
Die Polizei hielt sich auf der Route der Gegendemonstration gänzlich zurück und zeigte nur wenig Präsenz. Sie sperrte aber das Gebiet um den Weg der rechten Demonstration, die vom Hauptbahnhof an der Spree entlang über die Reinhard-, Luisen- und Dorotheenstraße zum Bahnhof Friedrichstraße zog, weiträumig und mit einem großen Aufgebot an Einsatzkräften ab.
So marschierte die aus ganz Deutschland angereiste rechte Truppe hauptsächlich hinter Polizeispalier im fast menschenleeren Raum. An den Straßensperren bekamen die Mitmarschierer hauptsächlich Nazi-Gegner zu sehen, die ihnen deutlich ihre Ablehnung zeigten.
Berlin demonstriert an vielen Stellen seine Weltoffenheit
Am Brandenburger Tor hatten sich auf den Aufruf von Kirchen, DGB und etablierten Parteien hin ebenfalls mehrere tausend Menschen (laut Veranstalter 3000) zum Protest gegen den „braunen Besuch in Berlin“ versammelt. Ihr Motto: „Für ein weltoffenes und tolerantes Berlin“. Auch die Demonstration zum internationalen Tag der Legalisierung von Marihuana schloss sich dem Protest gegen Nazis am Brandenburger Tor an.
Bei immer mehr Berlinern reift offenbar die Erkenntnis: Wenn sich der Einfluss der Rechten erst mal breit gemacht hat, zieht der Muff vor 90 Jahren zurück in ihrer Stadt. Dann wäre Schluss mit „sozial“ und Schluss mit „frei“ und Schluss mit „Menschenrecht“ in dieser „internationalistisch und multikulturell geprägten Stadt“.
Neonazis greifen Abgeordnete und Journalisten an
Begeisterung löste die Nachricht von der zeitgleichen Demonstration in Warschau mit über 240 000 Menschen gegen den rechtspopulistischen Kurs der polnischen Regierung aus. Die Menschen in Polen erleben ganz praktisch, was AFD-Politik bedeutet: Einschnüren aller Lebensbereiche. Für das pulsierende Leben in Berlin wäre das der Tod. Der Widerstand in Polen wächst und wächst. „Lassen wir es bei uns erst gar nicht so weit kommen“, so der Vorsatz der Berliner DemonstrantInnen.
Trotz der riesigen Polizeipräsenz gab es am Nachmittag einen Zwischenfall: Zwei Rechtsradikale griffen am Berliner Hauptbahnhof den flüchtlingspolitischen Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus Hakan Taş an. Sie fühlten sich angeblich durch sein antifaschistisches T-Shirt herausgefordert. Die anwesende Polizei konnte Schlimmeres verhüten und nahm die Angreifer fest. Die Zeitung Neues Deutschland berichtet von weiteren Angriffen gegen Journalisten und Abgeordnete. Auch sei die Polizei „mit aller Härte“ gegen Blockadeversuche von NazigegnerInnen vorgegangen.
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