Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart/Berlin. Die Kanzlerin macht Urlaub. Das ist okay, sie fehlt ja auch keinem. Die Bundesregierung braucht keine Ansagerin, um ihre Elitenpolitik routiniert und geräuschlos abzuspulen. Als Machtpolitikerin ist Angela Merkel jedoch auch in den Ferien auf der Hut. So ließ sie zwei Dinge durchstechen, auf die sich die Medien gierig stürzten: ihren Kommentar zur „Landesverrats“-Affäre und eine Ansage zu ihren weiteren Karriereplänen. Schlimmer ist, wozu sie schweigt.
Zu den beiden größten innenpolitischen Problemen dieser Tage verlor Angela Merkel aus dem Urlaub heraus kein Wort: die unerträglichen Zustände in vielen Flüchtlingsunterkünften und den rechten Terror.
Die eiserne Kanzlerin will 2017 für eine vierte Amtszeit kandidieren. Das war für die Union und womöglich auch die SPD ohnehin alternativlos und eigentlich keines Aufhebens wert. Merkel ging außerdem auf Distanz zu Harald Range, der sich mit Ermittlungen gegen Netzpolitik.org unmöglich gemacht hat.
Ihr Kommentar zur „Landesverrrats“-Affäre war nicht etwa nötig, damit an ihr selbst nichts kleben bleibt – sondern um den Generalbundesanwalt zuverlässig zum Bauernopfer zu machen. Eigentlich müsste Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen den Hut nehmen. Doch den nimmt Merkel ausdrücklich in Schutz. Er soll offensichtlich mitsamt seiner zwielichtigen Behörde ungeschoren bleiben.
Der rechte Terror ist der Kanzlerin offenbar egal
Der zunehmende rechte Terror ist Merkel dagegen offenbar nicht der Rede wert. 200 Flüchtlingsheime wurden in der ersten Jahreshälfte von Rechten attackiert – in Brand gesteckt, unter Wasser gesetzt oder sonst wie unbewohnbar gemacht. Es gibt immer mehr Angriffe auf Geflüchtete, aber auch auf linke oder grüne Politiker, die rechten Schlägern im Weg stehen.
Die Zahl der Morde aus rassistischen Motiven seit der Wende, von den Ermittlungsbehörden stets bagatellisiert, muss ständig nach oben korrigiert werden. Zu diesen Verbrechen kommen Nazi-Schmierereien und immer ungeniertere Volksverhetzung bei NPD- oder Pegida-Demonstrationen.
Eigentlich müsste die Republik längst im Alarmzustand sein, müsste die Polizei mit allen Mitteln nach den Tätern fahnden, müsste sich die Bundeskanzlerin demonstrativ vor die Opfer stellen und die Bevölkerung aufrufen, beim Schutz von Flüchtlingen und Unterkünften zu helfen. Aber Fehlanzeige, nichts von all dem geschieht.
Flüchtlingscamps wie in Kriegs- und Krisenregionen
Absolut nicht hinnehmbar ist auch, wenn Flüchtlinge inzwischen auf engstem Raum in Zeltstädten untergebracht werden, weil Politiker wohl kalkuliert Ressourcen abbbauten statt vorzusorgen. In einigen Camps herrschen Zustände, wie man sie bisher nur aus Kriegs- und Krisengebieten kannte.
Beispiel Bremer Straße in Dresden. Das Rote Kreuz, dessen Helfer ebenso wie die Leute vom THW schon beim Aufbau des Lagers vom rechten Mob attackiert wurden, berichtete am 26. Juli, dort seien 722 Flüchtlinge aus 15 Nationalitäten untergebracht, hauptsächlich Menschen aus Syrien. Die 34 Zelte, 50 Quadratmeter groß, wurden jeweils mit 28 bis 34 Personen belegt. Auf kulturelle Unterschiede konnten die Helfer nicht groß Rücksicht nehmen. Es gibt keine Privatsphäre und keine Rückzugsmöglichkeit für die oft traumatisierten Menschen.
Es felt an allem. Das Rote Kreuz rief dazu auf, Seife, Zahnpasta, Medikamente oder Babywindeln zu spenden. Zweitweilig wurde das Trinkwasser knapp. Die Essensportionen sind zu klein. Toiletten und Duschen reichen nicht.
Die sächsischen Verhältnisse rächen sich
Warum das alles, warum gerade gehäuft in Sachsen? Auch dort gibt es Freundeskreise, die sich um die Menschen kümmern. Doch die Behörden reagieren immer erst dann, wenn das Bundesamt für Migration (BAfM) die Ankunft neuer Flüchtlinge ankündigt, sagt Mirko Schultze, Landtagsabgeordneter der Linken aus Görlitz. Die Regierenden, allen voran die besonders konservative sächsische CDU, wollen es den Flüchtlingen lieber ungemütlich machen, keinen Anreiz zum Zuzug bieten. Sie hoffen auf schnelle Abschiebungen.
Das war schon bisher die Linie – doch jetzt ist die Sache den Behörden offenbar über den Kopf gewachsen. Es rächt sich, dass das Land kaum mit den Städten und Gemeinde zusammenarbeitet, obwohl sie meist über leerstehende Wohnungen verfügen. Das alles hat Tradition. Die sächsische Justiz verfolgt gezielt Nazigegner. Die Rechten können sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlen. Jetzt erschrickt mancher konservative Politiker über ihre Gewaltbereitschaft.
Kein Thema für die Bundesregierung
Die Kanzlerin könnte die Länder zu vorausschauendem und kooperativem Handeln ermahnen. Sie könnte den Finanzminister anweisen, bei der Übernahme der Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge gegenüber den Kommunen großzügig zu sein. Sie könnte den Biedermännern aus CSU und CDU den Kampf ansagen, die mit ihrer Hetze gegen Armutsflüchtlinge, dem Schwadronieren über „sichere Drittländer“ oder dem Kürzen von Taschengeld für Menschen vom Balkan Öl ins Feuer gießen. Doch sie macht nichts von alledem.
Deutschland im Sommer 2015: Diese Zustände sind offenbar gewollt.
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