Stuttgart. Die Pogromnacht 1938 jährt sich am Sonntag, 9. November. Ein Stuttgarter Bündnis plant dazu eine antifaschistische Gedenkveranstaltung. Sie beginnt um 15 Uhr auf dem Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt. Bei der Kundgebung sprechen Rainer Redies von der Initiative Cannstatter Stolpersteine, der Zeitzeuge Theodor Bergmann und ein Vertreter oder eine Vertreterin des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region AABS. Es gibt außerdem Liedbeiträge des Freien Chors Stuttgart.
Anschließend sind ein gemeinsamer Gang vom Wilhelmsplatz zum Gedenkstein vor der ehemaligen Synagoge und eine Kranzniederlegung geplant.
Das Gedenken zur Pogromnacht beginnt jedoch bereits am Montag, 3. November. Angela Bachmair liest von 19 Uhr an in der Zehntscheuer in Zuffenhausen aus ihrem Buch „Wir sind stolz, Zigeuner zu sein“. Die Lesung wird musikalisch untermalt.
Am Freitag, 7. November, gibt es von 20 Uhr an im Linken Zentrum Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach eine Antifa-Kneipe mit historischem Input zur „Reichspogromnacht“.
Für Samstag, 8. November, ist eine Bürgerschaftliche Konferenz „NSU im Staat“ vorgesehen. Sie beginnt um 9.30 Uhr in den Räumen der Musikschule.
Zum Abschluss der Reihe der Gedenkveranstaltungen ist für Samstag, 15. November, ein Stadtrundgang „Auf den Spuren faschistischen Terrors“ geplant. Treffpunkt ist um 15 Uhr am Bahnhof in Bad Cannstatt.
Wir dokumentieren den Aufruf zu den Gedenkveranstaltungen:
75 Jahre nach Beginn des 2. Weltkriegs wissen wir: Es war alles vorbereitet!
Am Abend des 9. November stürmten gut organisierte SA- und SS-Truppen hunderte Synagogen, tausende Geschäfte und Wohnungen und setzen diese auch in Brand. Zehntausende wurden von SS und Gestapo verhaftet, über 100 ermordet.
Der Terror gegen jüdische BürgerInnen, der mit der Machtübertragung an die
Faschisten 1933 begonnen hatte, fand damit einen ersten Höhepunkt: Sie wurden
ihres Besitzes beraubt, zur Auswanderung gezwungen, in den Selbstmord getrieben, in Konzentrationslager verschleppt und letztendlich in den Gaskammern ermordet. Die Synagoge in Cannstatt wurde vom Leiter der Brandwache, zwei Feuerwehrleuten und einigen Nazis angezündet. Fast alle männlichen Stuttgarter Juden zwischen 18 und 65 Jahren wurden verhaftet, ja sogar Kranke sowie Jugendliche unter 18 Jahren kamen ins Gestapogefängnis Welzheim, aber auch ins KZ Dachau.Der Jahrestag der Pogromnacht ist für uns Anlass, der Opfer des deutschen Faschismus zu gedenken. 6 Millionen JüdInnen fielen der Shoa zum Opfer, schätzungsweise mehr als 250 000 Sinti und Roma in Europa wurden im Zuge des Rassenwahns gedemütigt und ab 1940 in den Konzentrationslagern interniert und umgebracht. Unzählige KommunistInnen, SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen und andere AntifaschistInnen wurden bereits ab dem 30. Januar 1933 verfolgt und verhaftet, um frühzeitig jeglichen Widerstand gegen die Faschisten und die hinter ihnen stehenden Herren des Großkapitals zu brechen. Der deutsche Faschismus entfachte den 2. Weltkrieg im Interesse der deutschen Banken und Konzerne. Schätzungsweis 80 Millionen bezahlten mit ihrem Leben, davon alleine 27 Millionen SowjetbürgerInnen. Europa lag in Trümmern.
Der Jahrestag mahnt uns aber auch, alles dafür zu tun, dass von deutschem Boden
„Nie wieder Faschismus und Krieg“ ausgeht. Anlass zur Mahnung und zum Protest besteht, wenn:
• Es bei 20 Prozent der Bevölkerung weiterhin einen latenten Antisemitismus gibt.
• Gegen den Islam gehetzt und gegen Moscheen demonstriert wird und diese Ziele von Anschlägen werden.
• Angst vor „Flüchtlingsströmen“ und „Armutsmigranten“, insbesondere Sinti und Roma geschürt wird.
• In Europa Rechtspopulisten immer mehr Zulauf haben, die AFD bei Landtagswahlen über 10 Prozent der Stimmen bekommt.
• Der vom Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss vorgelegte Abschlussbericht zu dem Schluss kommt, dass die „Häufung falscher und nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens des rechtsextremen NSU-Trios durch die Behörden zulasse“.
• Im ukrainischen Odessa am 2. Mai 2014 rechte Schlägerkommandos Antifaschistinnen in das Gewerkschaftshaus treiben, dieses anzünden, über 100 Menschen ermorden und Medien und Politik schweigen.
• Bundespräsident Gauck am Antikriegstag den Konflikt mit Russland weiter zuspitzt, die sowjetischen Opfer im 2. Weltkrieg verschweigt und offen für noch mehr Kriege mit noch mehr deutscher Beteiligung wirbt.Wir dürfen nicht zulassen, dass wieder Bevölkerungsgruppen als Sündenböcke herhalten müssen und Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb gilt es, zusammen zu halten gegen Faschismus und Rassismus, gegen Sozial- und Demokratieabbau und gegen Krieg.
Die Losung der Gefangenen des KZ Buchenwald, die sich selbst befreien konnten, bleibt deshalb Aufgabe: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
UnterstützerInnen:
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart (AABS); Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart; Antifa Esslingen; „Arbeit Zukunft“ Stuttgart; Cannstatter gegen Stuttgart 21; DGB Stuttgart; DIE LINKE Stuttgart; DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Stuttgart; Freier Chor Stuttgart; Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Regionalgruppe Stuttgart; Grüne Jugend Stuttgart;
ISA – Initiative schönes attraktives Vaihingen e.V.; linksjugend [`solid] Stuttgart; Jusos Stuttgart; Piratenpartei Deutschland, Kreisverband Stuttgart; REVOLUTION; SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) Baden-Württemberg; SÖS – Stuttgart – Ökologisch Sozial; ver.di Bezirk Stuttgart; ver.di Jugend Stuttgart; VVN-BdA BaWü: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten; VVN-BdA KV Esslingen; Verein Zukunftswerkstatt e.V., Zuffenhausen; VÖS – Vaihingen Ökologisch Sozial; Waldheim Gaisburg; Waldheim Stuttgart e.V. / Clara Zetkin Haus; Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften.
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