Göppingen. 1300 DemonstrantInnen – überwiegend Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten im Nordirak und Syrien – folgten am Samstag, 30. August 2014, dem Aufruf des ESU-Komitee Göppingen (European Syriac Union) zu einer Demonstration gegen den Terror der Milizen des so genannten Islamischen Staats (IS). Der Göppinger Dekan Rolf Ulmer ließ ein Grußwort verlesen. Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Jörg Fritz sprach bei der Kundgebung. Er forderte sofortige Waffenlieferungen in die Kriegsregion.
Die European Syriac Union wurde im Mai 2004 als Integrations- und humanitäre Organisation mit Sitz in Brüssel gegründet. Im Transparenzregister der Europäischen Union mit letzten aktuellen Stand von Juni 2014 agiert die Organisation weltweit für Maßnahmen zur gelingenden Integration der Mitglieder in die Mehrheitsgesellschaft, Erhaltung und Pflege des kulturellen Erbes der assyrischen Volksgruppe, soziale sowie humanitäre Hilfestellung für Notdürftige in verschiedenen Ländern, vornehmlich den Herkunftsländern der Assyrer in Europa.
ESU will interkulturellen Dialog unterstützen
Die ESU vertritt demnach die Interessen der Assyrer aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten und mit verschiedenen Konfessionen und politischen Orientierungen. Die ESU setzt sich für Völkerverständigung und Toleranz zwischen den Religionen und Völkern ein und unterstützt den interkulturellen Dialog sowohl in den Heimatgebieten, als auch im deutschsprachigen Raum.
Der Demonstrationszug in Göppingen zog von der Stadthalle mit dem Ziel „Neue Mitte“ durch die Innenstadt vorbei an einer etwas brisanten Örtlichkeit. Die Route führte über die Poststraße, wo sich der salafistisch orientierte Verein und sein Arabisches Kulturzentrum befinden, zum Rathaus. Die Organisatoren forderten, eine demokratische Autonome Sicherheitszone in der Niniv-Ebene (Irak) einzurichten. Organisiert wurde die Demonstration vom ESU (European Syriac Union)-Komitee Göppingen. (Wir berichteten)
Komitee sammelt Unterschriften
Geistliche Vertreter, Ältere, Familien mit Kleinkindern, Jugendliche, Passanten und Antifaschisten schlossen sich der Demonstration an. Sprechchöre riefen „Hoch die internationale Solidarität“, „Freiheit für Alle“. Die Demonstration verlief ohne besondere Vorkommnissen. Im Tagesverlauf konnte das Göppinger ESU (European Syriac Union)-Komitee weitere fast 700 Unterschriften bei der Göppinger Bevölkerung für folgende Online-Petition sammeln.https://www.openpetition.de/petition/online/schutzzone-fuer-christen-im-orient-jetzt#_=_
Jakob Bugday und Aram Bar Schabo moderierten die Kundgebung und begrüßten die Versammelten. Letzterer begrüßte auch auf Aramäisch. Von der Syrisch-orthodoxen-Kirche sprach Pfarrer Aziz Akyüz zu den Teilnehmern. Anschließend verlas Pfarrer Michael Hagen aus Rechberghausen stellvertretend für den Dekan der Evangelischen Kirche Göppingen Rolf Ulmer ein Statement. Der Chaldäische Pfarrer Johanna, der erst vor einiger Zeit aus dem nordirakischen Mossul in den Kreis Göppingen gekommen ist, trug Informationen und Zeugenberichte aus erster Hand vor.
Grünen-Landtagsabgeordneter für Waffenlieferungen
Yakup Tunc hielt seine Rede auf Aramäisch, Zipora Demir übersetzte sie ins Deutsche. Beide waren als Vertreter der Organisation ESU in Göppingen. Weitere anwesende Gäste waren Khasha Hanna, Chaldäischer Zeitzeuge aus Mosul. Das Komitee kritisierte, dass außer den Grünen keine Parteienvertreter vor Ort waren und einige auch nicht abgesagt hatten. Oberbürgermeister Guido Till (CDU) hatte sich entschuldigt. Das Stadtoberhaupt konnte kurzfristig nicht vor den Demonstranten reden, da gleichzeitig am Bahnhof eine rechte Organisation eine Kundgebung abhielt (wir berichteten).
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Jörg Fritz forderte sofortige Waffenlieferungen und ausreichende humanitäre Hilfen für die Kriegsregion. In seiner Rede verwies er auf eigene Erfahrungen, die er im letzten Jahr bei einer Reise mit Landeswirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) in der Kurdenstadt Erbil gesammelt hatte. Schon damals hätten dort zahllose Flüchtlinge vor der Brutalität der selbst ernannten Kalifatskämpfer Unterschlupf gefunden. „Die Bundesregierung muss die unterdrückten Völker sofort mit Waffen ausstatten, und groß angelegte humanitäre Hilfe muss gewährleitet werden“, forderte der Grünen-Abgeordnete.
Terror-Unterstützer an den Pranger stellen
Elias Cello vom Patriarchalvikariat der Erzdiözese Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien in Deutschland, fand klare Worte. „Die Attacken der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS), früher ISIS, gegen unser Volk, die Yeziden und andere Minderheiten in Irak und Syrien dauern mit voller Härte an.“ Schuldlose Christen, Yeziden und andere Minderheiten dürften nicht attackiert, ermordet, diskriminiert oder vertrieben werden. Ihre Kirchen, Gebetsstätten und Bischofssitze dürften nicht im Namen einer sogenannten Terrororganisation zerstört werden. Sie höre „weder auf die Vernunft noch auf das Gewissen“ und habe bereits damit gedroht, alle Christen umzubringen, wenn sie sich nicht zum Islam bekehren, die Sondersteuer nicht zahlen oder fliehen. „Es ist furchtbar, dies im 21. Jahrhundert zu erleben. Das ist eine Schande für die internationale Gemeinschaft“, sagte Elias Cello.
Als Vertreter der Yeziden sprach Bischre Hatto. Der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland ZOCD entsandte seinen 1. Vorsitzenden Simon Jakob aus München. Jakob forderte „Frieden durch Dialog“: „Es ist unsere Aufgabe, die Wurzel dessen zu bekämpfen, was all das Leid und Übel verursacht. Dies schaffen wir nur, wenn wir Licht ins Dunkel bringen. Tatsachen an den Tag legen. Politiker unter Druck setzen. Die Unterstützer des Terrors an den Pranger stellen. Die Gesellschaft sensibilisieren und Medien aktivieren.“
Die Weltgemeinschaft wachrütteln
Für den Beth-Nahrin Verein Stuttgart und Umgebung sprach Sami Sagur. Er bekräftigte, dass in seiner Heimat eine brutale Situation herrsche. Betroffene sollen vor allem die Aramäer, Assyrer und Chaldäer, die Urchristen des Nahen Ostens sein. „Wir können hier leider nicht viel tun, aber wir können auf die Verbrechen hinweisen und die Weltgemeinschaft wachrütteln.“
In Tur Abdin, Südosten der Türkei soll die Brutstätte der jetzigen Rekrutierung von Kämpfern der ISIS liegen. Verletzte ISIS Kämpfer würden dort medizinisch versorgt. Gleichzeitig ziehe ein Strom von türkischen Extremisten ins Kampfgebiet. Mehr als 1000 Türken sollen sich bereits der ISIS angeschlossen haben. „Wie sollen wir uns selbst verteidigen ohne Waffen, wir haben ein Menschenrecht der Selbstverteidigung“, so Sagur.
Anschließend verlas Jakob Bugday ein Statement von Kano Suryoyo. Zum Ende wurde ein Abschlusslied gesungen und ein Gebet gesprochen. Bugday bedankte sich bei allen Helfern, Demonstrations- und Kundgebungsteilnehmern, Besuchern und Passanten, bei der Polizei für die Begleitung und die Verkehrsregelung und schloss die Versammlung.
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