Von Michael Janker – Stuttgart. Schon zum vierten Mal in diesem Jahr trafen sich so genannte Bildungsplangegner am Samstag, 28. Juni 2014, in Stuttgart auf dem Schillerplatz zu einer Kundgebung. Auch dieses Mal formierte sich ein breites Bündnis gegen die Mischung aus AfD-Anhängern, Klerikalfaschisten und sonstigem rechten Pöbel. Allerdings kesselte die Polizei rund hundert Gegner der rechten Allianz vor der Gaststätte Alte Kanzlei ein. Unter den Festgehaltenen war auch ich. Ein Erfahrungsbericht.
Auf dem Stauffenbergplatz fanden sich an diesem Tag wieder AktivistInnen aus dem gesamten linken Spektrum ein – fest entschlossen, den braunen Spuk in Stuttgart dieses Mal zu verhindern. Kurz nach 14 Uhr startete eine kraftvolle und sehr mobile Gegendemonstration, um den Homophoben auf dem Schillerplatz zu signalisieren, dass sie in Stuttgart unerwünscht sind.
Weil wir so mobil waren, gelang es uns immer wieder, auch die in Großformation angetretenen Polizeikräfte zu überraschen. Der gesamte Bereich vor dem Schloss war in ein Heerlager von BFE-Einheiten verwandelt. Das erweckte den Eindruck, es stehe unmittelbar ein Bürgerkrieg bevor. Nicht nur wir, auch die Cops kamen bei dem ständigen Gerenne und den herrschenden schwülen Temperaturen ganz schön ins Schwitzen. Kein Wunder bei ihrer Panzerung!
An welchem Zugang zum Schillerplatz wir auch auftauchten: Es gab sofort eine nette Begrüßung mit reichlich Pfefferspray und Schlagstockeinsatz durch die dort stationierten Beamten. Die waren nicht zimperlich, und deshalb hatten die Demosanitäter wieder eine Menge Arbeit.
Gegen 14.30 Uhr befanden wir uns im Bereich vor der Alten Kanzlei, als in unserem Rücken wie aus dem Nichts eine Reiterstaffel auftauchte. Sie ritt einfach in die Demo rein, spaltete den Zug und trieb über hundert AktivistInnen auf die Außenterrasse der Alten Kanzlei. Gleichzeitig rückten die Cops an und bildeten um die Terrasse einen undurchdringlichen Kessel.
Die paar Gäste der Alten Kanzlei, die sich bei dem stärker werdenden Regen noch in diesem Außenbereich aufhielten, verschwanden schnell im trockenen Inneren des Restaurants. Die Eingangstüren wurden sofort verriegelt und zum Schutz der konsumierenden Gäste auch gleich von BFE-Cops besetzt. Kurz nach 14.30 Uhr war der Kessel komplett geschlossen, und wir saßen in der Falle.
Zumindest hatten wir göttlichen Schutz. Auf der Terrasse stand eine mehrere Meter hohe Christusstatue, so als wären wir auf dem Zuckerhut in Rio Auch eine riesige deutsche Fahne hing dort. WM-Zeit eben! Im weiteren Verlauf dieses Nachmittages fiel diese Fahne aus unerklärlichen Gründen in den Schmutz der Straße. Vermutlich konnte sie das Elend, das sie da sah, nicht ertragen. Die Christusstatue dagegen hielt sich wacker, sie fiel nicht um.
In Bezug auf das Wetter hatten wir wie üblich keinen Schutz von oben, und zwar im doppelten Sinne. Die Terrasse hat keine Überdachung, und wie schon am 5. April oder auf der revolutionären 1.-Mai-Demo fing es an, wie aus Kübeln zu schütten. Nach kurzer Zeit waren wir allesamt pudelnass.
Um sich vor diesem sintflutartigen Regen zu schützen, zogen sich viele AktivistInnen auf eine dort ebenfalls vorhandene Bühne zurück. Kluge Idee, diese Bühne war nämlich überdacht. Dies sah eine Einsatzgruppe der BFE wohl genauso und kämpfte sich rüde zu dieser Bühne vor, vertrieb die AktivistInnen und stand nun selbst im Trockenen. Ich bin felsenfest überzeugt: Die beteiligten Beamten hatten sich für diese Kaperungsaktion freiwillig gemeldet, um nicht wie ihre Kollegen in der Kette um die Terrasse herum von oben begossen zu werden.
Die ganze Aktion der Cops war allgemein gut geplant. Nach kurzer Zeit wurden sogar Dixie-Klos herangekarrt und auf der Terrasse platziert. Sehr ungewöhnlich bei einem Kessel. Ein unbedarfter Mensch könnte fast meinen, die Einsatzleitung hatte Mitleid mit uns und vielleicht sogar Verständnis für unseren Protest. Glaube ich aber nicht! Vermutlich geschah dies nur, um die Gäste und die Mitarbeiter des Restaurants nicht mit den unweigerlich eintretenden Hinterlassenschaften der Eingekesselten zu belästigen.
Die Gäste ließen sich nicht stören
Übrigens – das Restaurant! Mir geht es nicht um eine nagative Bewertung seiner Gastronomie. Aber was ich da gesehen habe, hat mich an diesem Nachmittag am meisten entsetzt. Während wir nämlich im strömenden Regen, hungrig und nass, stundenlang direkt vor den Fenstern des Restaurants standen, war die Stimmung in den voll besetzten und gemütlichen Innenräumen für viele von uns absolut surreal.
Nicht was Ihr jetzt denkt!!
Die Gäste waren nicht in einer panischen Stimmung, ob der vielen schwarz gekleideten Autonomen direkt vor der Tür.
Nein, nein. Ganz im Gegenteil!!
Sie haben ganz gemütlich weiter ihr Schnitzel gegessen, lieblichen Weißwein getrunken und sich angeregt unterhalten, ohne auch nur einen Blick darauf zu vergeuden, was sich direkt vor ihnen abspielte.
Ich stelle diese Fragen jetzt ganz bewusst, und hoffe sehr, dass die/der eine oder andere LeserIn darüber nachdenkt: Was hätten diese Menschen getan, wenn nicht wir auf der Terrasse wehrlos gefangen gewesen wären, sondern dort zum Beispiel ein Lynchmob gerade einen vermeintlichen Sexualstraftäter in Selbstjustiz an der Christusstatue aufgehängt oder Soldaten verdächtige Aufständische standrechtlich erschossen hätten?
Hätten sie dann auch weiter fröhlich gegessen, getrunken, geredet? Was ist Solidarität? Wo und was sind die Grundübel unserer „demokratischen“ Gesellschaft?
Dies ist nur eine kleine Anekdote am Rande, scheinbar unbedeutend. Sie zeigt meines Erachtens aber eine der wesentlichsten Grundvoraussetzungen für das Entstehen repressiver und faschistischer Systeme, nämlich das Desinteresse bürgerlicher Klassen an politischen und sozialen Fragestellungen. Gemeinhin wird sowas auch „Mitläufertum“ genannt.
Stundenlanges Warten im Kessel
Regen; nasse Klamotten; Hunger; Durst; der Frust darüber, dass wir in eine Falle gelaufen sind; stundenlanges Warten im Kessel; der Umstand, dass die Homophobendemo nach einigen Täuschungsmanövern direkt am Kessel vorbeigeführt wurde (nach der Devise: Ätsch!! Ihr könnt ja eh nichts tun. Bleibt zu Hause).
Keine gute Kombination. Deshalb bildete sich irgandwann eine Schlange von AktivistInnen, die auf den obligatorischen Abtransport in die Hahnemann wartete. Ich habe mich da auch eingereiht, wobei ich nicht finde, dass unsere Aktion ein Fehlschlag war. Es wurde Präsenz gezeigt und damit verbunden auch eine politische Botschaft. Zudem hatte die Repression ganz schön zu tun, was die eingesetzten Beamten sichtbar genervt hat. Vermutlich hätten sie lieber das Brasilien-Spiel beim Public-Viewing genossen.
Es gab über hundert Festnahmen. Ja, richtig gelesen. Das klingt nach Hamburg und Roter Flora, da waren es aber so weit ich weiß weniger. Na ja, so viele wie bei Blockupy letztes Jahr vielleicht. Absolut lächerlich und überzogen war diese ganze Gewahrsamsaktion. Sie diente lediglich der Einschüchterung und weitere Kriminalisierung.
Ich wurde um genau 16.44 Uhr „aufgegriffen“. Bezeichnenderweise hieß einer der beiden Beamten, die mich abführten, Greif. Fortan war ich Nr. H 006. Diese Tatsachen kann ich von einem seit Samstag in meinem Besitz befindlichen Plastikbeutel der Cops entnehmen, auf dem alle Daten in einer wirklich wunderschönen Handschrift vermerkt sind. Meine Lebensgefährtin Antonietta, die sich in der ganzen Zeit außerhalb des Kessels aufhielt, meinte später, dass die Handschrift der einer Schülerin gleicht. Stimmt, die Polizistin, die den Plastikbeutel beschriftete, war sehr jung.
Natürlich hatte ich mal wieder zuviele Utensilien dabei, die allesamt in diesem Beutel verschwanden, und von nun an stets von verschiedenen fürsorglichen Beamten für mich getragen wurden. Sie haben sich tatsächlich alle darüber beklagt, wie schwer der Beutel war!
Das übliche Prozedere setzte nun für alle AktivistInnen ein: Durchsuchung, Beschlagnahmung aller mitgeführten Dinge (die Plastikbeutel!), Fotos von allen Seiten, Verfrachtung in Gesa-Busse und Wannen zwecks Deportation in die Hahnemann. Währenddessen zog der homophobe Mob singend und musizierend direkt an uns vorbei. Die gingen nicht in die Hahnemann, sondern zur Oper. Beim Transport hatte ich persönlich dieses Mal Glück. Ich wurde in einer komfortablen Wanne untergebracht, die nur vier Personen aufnehmen konnte. Luft und Beinfreiheit waren also vorhanden, ganz im Gegensatz zum letzten Transport in die Hahnemann im April.
In dieser Wanne traf ich auch einen alten Bekannten wieder, der bei der letzten Homophobendemo auch mit mir gemeinsam zur Hahnemann gefahren wurde, damals allerdings in einem miefigen, stickigen und überfüllten Gesa-Bus So konnten Erinnerungen ausgetauscht werden, und totz der unangenehmen Situation entwickelte sich im Folgenden eine heitere und entspannte Stimmung in der Wanne. Ein bisschen Spaß muss schon manchmal sein, auch wenn es sich definitiv um eine ernste politische Aktion gehandelt hat.
Trotz einer etwas ruppigen Fahrweise unseres Polizei-Chauffeurs (ehrlich; sobald er auch nur den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt hat, haben wir uns immer rasend schnell angeschnallt) kamen wir sicher in der Hahnemann an, nur um dort stundenlang in einer endlosen Schlange von Wannen und Gesa-Bussen untätig herumzusitzen.
Andere AktivistInnen sind nicht so behaglich transportiert worden. Einige Fahrzeuge hinter uns stand ein vollbesetzter schrottreifer Gesa-Bus mitten in der nun am Pragsattel höhnisch durchbrechenden prallen Sonne. Dort drinnen müssen Verhältnisse wie in einer finnischen Sauna geherrscht haben.
Erst am Abend wieder in Freiheit
Im Gegensatz zum letzten Gewahrsam im April durften wir diesmal in Begleitung die Toilette benutzen, dafür dauerte die Abfertigung deutlich länger. Kein Wunder, es waren ja viel mehr Gefangene als damals.
Auch im Gewahrsamstrakt angekommen galt: Same procedure as last April. Ein Bild; eine oberflächliche Durchsuchung durch Kripobeamte; eine kleine Fragerunde, bestehend aus Fragen zu Deinen persönlichen Daten und die überraschende Frage, ob ich bei der Festnahme verletzt worden sei! Ob die dafür zuständige Polizistin diese Frage auch an Leute gestellt hat, die Pfefferspray abbekommen haben? Mir ist glücklicherweise nichts passiert, im Gegensatz zu vielen anderen AktivistInnen.
Abends um 20.30 Uhr war ich wieder in Freiheit, andere AktivistInnen warteten immer noch in den Gesa-Bussen.
Wie im April gab es vor den Toren der Hahnemann wieder ein großes solidarisches Begrüßungskomitee mit Speis und Trank, was über die letzten Stunden zumindest etwas hinwegtröstete.
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