Berlin. Dumm gelaufen. Als der Bundestag am Donnerstag einen gesetzlichen Mindestlohn von doch auch 8,50 Euro beschloss, schien Arbeitsministerin Andrea Nahles vor Stolz fast zu platzen. So sieht ein Mensch aus, der voll und ganz zufrieden mit sich ist. Seither bombardieren SPD-Abgeordnete die Redaktionen dieser Welt mit Pressemitteilungen, um ihren angeblich historischen Erfolg zu bejubeln. Blöd nur, dass andere das ganz anders sehen.
Ein Teil der Gewerkschaften und vor allem ihre Jugendorganisationen laufen Sturm. Und die Linke, die so lange auf den gesetzlichen Mindestlohn gedrängt hatte, mochte seiner durchlöcherten Version im Bundestag nicht zustimmen.
Vor zehn Jahren hatte Gerhard Schröders SPD mit CDU, Grünen und FDP die verheerenden Agenda-Gesetze verabschiedet. Damit schufen sie den zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas nach Litauen. Seither prägen Mini- und Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit und Dauer-Praktikanten das Bild. Aufstocker müssen beim Staat betteln gehen, weil ihr Lohn zum Überleben nicht reicht. Und Langzeitarbeitslose müssen sich beim Job-Center ausspähen und schikanieren lassen.
Nun tut die SPD so, als hätte sie den damals aus der Flasche gelassenen Geist wieder eingesperrt. Es ist fraglich, ob sie das überhaupt wollte. Jedenfalls stimmt es nicht. Wer so viele Ausnahmen vom Mindestlohn zulässt, öffnet Missbrauch Tür und Tor. Er überlässt Millionen von Menschen weiterhin der Willkür ihrer Ausbeuter. Man kann es wohl gar nicht oft genug sagen: Ein Mindestlohn ist ein Mindestlohn ist ein Mindestlohn. Die unterste Grenze, die für alle gelten muss. Wenn sie nur ein bisschen gilt, hat sie keinen Wert.
Da helfen keine Fotos von der Siegerpose einer Ministerin, die den Bundestag schon mal mit einer peinlichen Gesangseinlage zum Fremdschämen brachte. Da hilft es auch nicht, wenn die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi den Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske zurechtweist. Er hat der SPD „grobe Wählertäuschung“ vorgehalten. Die Ausnahmen hätten den Mindestlohn „brutal amputiert“.
Empörter Austritt aus der SPD-Linken
Solcherart Kritik verträgt die SPD an ihrem Mini-Mindestlohn jedoch nicht. Sie beansprucht die Deutungshoheit über das Gesetz. Nun trat Andrea Nahles mit fünf weiteren SPD-Politikern aus der Demokratischen Linken (DL 21) aus, dem wichtigsten Forum von Sozialdemokraten, die sich als links verstehen. Die Begründung für diesen Schritt: Hilde Mattheis, die Vorsitzende der DL 21, hatte es gewagt, sich despektierlich über den Mindestlohn zu äußern. Mit seiner Festschreibung im Koalitionsvertrag habe die SPD einen roten Apfel in die Hand bekommen, soll sie gesagt haben. Doch nun zeige sich, „dass der auf einer Seite verfault ist“.
Eine Anekdote am Rand: Zu den Unterzeichnern des Austritts-Schreibens gehört auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der Herr mit der Fliege. Auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte er allerdings, dass er gar nicht Mitglied der Demokratischen Linken war. Davon sei er irrtümlich ausgegangen, berichtet die Zeitung weiter, es handele sich um ein Versehen. Lauterbach: „Wäre ich Mitglied gewesen, wäre ich aber jetzt ausgetreten.“
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